In der letzten Folge (Folgen von Stress in agilen Teams) habe ich beschrieben, woran Sie Stress-Symptome erkennen können und zu welchen Folgen das in der Organisation führen kann. Ich habe schon angedeutet, dass diese Symptome auf fast und unausrottbaren Mythen beruhen, die es endlich aufzulösen gilt. Nehmen wir also fünf davon, einen nach dem anderen:
Mythos Nr. 1: Das Backlog ist abzuarbeiten
Neulich sah ich eine schöne deutsche Übersetzung für das englische Wort Backlog: „Rückstand“. Das klingt doch gleich so als wäre das Team mit irgendetwas im Rückstand. Schon wieder ein Stressfaktor, weil man einen Soll-Ist-Vergleich durchführt. In Wirklichkeit ist es anders: Die Elemente im Backlog verlieren an Wert, je älter sie sind, weil der Markt sich inzwischen weiter entwickelt, während die Backlog-Elemente auf ihre Umsetzung warten. Kunde oder Projektmanager sollten also nicht auf Abarbeitung des Backlogs bestehen. Den Inhalt des Backlogs betrachtet man besser als Optionen, die man ziehen kann oder auch nicht!
Mythos Nr. 2: Je eher wir anfangen, desto eher sind wir fertig!
Durchschnittlich gilt das Gesetz von Little: Die Zykluszeit ist gleich der Menge der Backlog-Elemente, die noch in Arbeit sind (work in progress), geteilt durch den Durchsatz in Backlog-Elementen pro Zeiteinheit. Beispiel: Ein Team hat 10 Elemente gleichzeitig in Arbeit, schafft 4 pro Woche, dann dauert jedes neue Element 2,5 Wochen, bis es einmal durch den Entwicklungsprozess gegangen ist. Alles durchschnittlich natürlich, nicht für jedes Element gleich. Das bedeutet: Je eher wir anfangen, desto mehr work in progress, desto länger dauert alles!
Mythos Nr. 3: Aktivität verursacht Kosten
In vielen Firmen ist es üblich, die Arbeitszeit der Mitarbeiter zu erfassen, die sie für die Realisierung einer bestimmten Anforderung benötigt haben.Die Annahme dahinter: je mehr jemand an einer Anforderung arbeitet, desto mehr kostet sie. Diese Kosten muss man den Kunden in Rechnung stellen. Auch das ist letztlich ein Mythos, denn:
Die Zeit, jemand an etwas arbeitet, besteht aus reiner Bearbeitungszeit und aus Wartezeit. Betrachten Sie ein Team das zu 90 % ausgelastet ist. Wenn Sie diesem Team eine neue Aufgabe geben wollen, wird es in 10 % aller Fälle sagen: „ja, machen wir sofort“, und in 90 % aller Fälle wird es sagen: „diese Arbeit muss warten, denn wir sind noch beschäftigt“. Das bedeutet: Wenn das Team zu 90 % ausgelastet ist, dann verbringt die Arbeit des Teams 90 % der Zeit in der Warteschlange, und nur 10 % der Zeit in Bearbeitung. Die wahren Kosten der Arbeit liegen also nicht in der Aktivität, sondern der Wartezeit. Daraus folgt eigentlich sofort: Zeiterfassung ist überflüssig.
Mythos Nr. 4: Hohe Produktivität bringt’s!
Produktivität (also zum Beispiel Durchsatz in Features pro Zeiteinheit) ist nur eine Proxy-Variable. Proxy-Variable deshalb, weil sie kein Wert an sich ist, sondern weil wichtig ist, wie diese sich auf das finanzielle Ergebnis der Firma auswirkt. Und Tatsache ist: auf das finanzielle Ergebnis der Firma wirken viel mehr Variablen als nur die Produktivität. Dazu später mehr.
Mythos Nr. 5: Hohe Auslastung ist gut!
Mitglieder von Softwareentwicklungsteams (Entwickler, Architekten, Projektleiter, Anforderung sanalysten, Tester) gehören zu den gut bezahlten Leuten. Daher ist die Annahme, dass man diese Leute nicht ohne Arbeit herum sitzen lassen darf. Wenn ich Projektleiter frage, wie hoch ausgelastet ihre Teams sind, so kommen antworten wie 80 %, 90 %, 99 %. Je mehr, desto besser für das finanzielle Ergebnis der Firma, oder? Noch so ein Mythos!
Definieren wir zunächst einmal Auslastung. Auslastung ist Ankunftsrate neuer Arbeit geteilt durch Abarbeitungsrate der bestehenden Arbeit. Wenn jemand durchschnittlich zehn Sachen pro Woche schafft, und sie ihm acht Sachen pro Woche zu tun geben, dann beträgt seine Auslastung 80 %. Es gibt nun einen Zusammenhang zwischen der Länge der Warteschlange, und der Auslastung desjenigen, der arbeitet. Der Zusammenhang ist exponentiell: Je höher jemand ausgelastet ist, desto überproportional länger wird die Warteschlange an unfertiger Arbeit, die sich vor ihm bildet. Hier eine Tabelle mit typischen Werten für Auslastung und Warteschlangenlänge:
Auslastung50%75%80%90%95%97%Warteschlangenlänge (Elemente)0,52381831
Sie sehen, hohe Auslastung ist gar nicht gut! Bei mehr als 80 % Auslastung bildet sich bereits eine Warteschlange von mehr als drei Dingen, die nicht sofort getan werden können. Bei 90 % liegen schon acht ungetane Dinge auf dem Schreibtisch desjenigen, der so hoch ausgelastet ist. Bei 95 % sind es 18, bei 97 % schon mehr als 31 Elemente! Gegen 100 % Auslastung wird die Warteschlange unendlich lang. Eine empfindliche Warteschlange bei hoher Auslastung ist deshalb so kritisch, weil Sie bei jedem Schnupfen eines Ihrer Mitarbeiter sofort in die Unberechenbarkeit abdriften und Zusagen Ihren Kunden gegenüber nicht mehr einhalten können. Liegen Sie hingegen bei 75-80% Auslastung, ist die Warteschlange bei weitem nicht so empfindlich, und es ist Platz für Unvorhergesehenes (z.B. eben den Schnupfen).
Machen Sie’s besser!
In der nächsten Folge dieser Reihe schreibe ich darüber, wie Sie sich von den Mythen trennen und es besser machen können, in Richtung einer erfolgreichen Firma, die begeisterte Kunden hat, einen hohen Ertrag und zufriedene, begeisterte Mitarbeiter. Und Sie erfahren auch, was ein „Business-Motorrad“ ist.
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