Thesen zum Einstieg

These 1: Menschen leisten am meisten, wenn sie motiviert sind. Zumindest, wenn das Rennen über eine längere Strecke gehen wird. Kurze Strecken hoher Leistung sind auch rein aus Anstrengung machbar, bei längeren Strecken kommt die Energie am besten aus der Begeisterung. Softwareentwicklung gehört zu den längeren Rennen.

These 2: Softwareentwicklung ist ein Spezialfall von Arbeit mit Wissen, und zwar mit einem Wissen, das nicht von Anfang an komplett vorhanden ist, sondern eines, das wie ein stetiger Strom während der gesamten Projektlaufzeit ins Team fließt.

These 3: Wissensarbeit ist wie ein kooperatives Spiel – es gibt dabei keinen, der vernünftigerweise allein bestimmen könnte, was als Nächstes der beste Spielzug ist. Das gilt insbesondere sogar für den Projektleiter – er muss die Entscheidung über den besten nächsten Zug seinen Mitarbeitern überlassen.

Formen der Führung

Je nach der Komplexität der Arbeit, die die Teams leisten, muss der Führungsstil angepasst werden, damit die Sache ein Erfolg wird. Sehr einfache Arbeit kann man mittels Kommando und Kontrolle managen. Für etwas komplexere Aufgaben sind Zielvorgaben und Belohnung bei Zielerreichung das Richtige. Noch komplexere managt man durch charismatische Führung. Für höchst komplexe Tätigkeiten wie die Softwareentwicklung erreicht man die besten Ergebnisse, wenn man Selbstorganisation zum Prinzip macht. Niemand anderes als das Team weiß am besten, was in der aktuellen Situation zu tun ist. Als Manager nutzt man dieses Wissen und stellt dem Team lediglich eine Dienstleistung namens Führung zur Verfügung.

Robert K. Greenleaf hat vor einigen Jahrzehnten schon Essays dazu verfasst, das gemeinsame Thema hieß Servant Leadership, im Prinzip „Führung als Dienstleistung“. James A. Autry hat Greenleafs Erkenntnisse weiter konkretisiert, in seinem Buch von 2001: The Servant Leader: How to Build a Creative Team, Develop Great Morale, and Improve Bottom-Line Performance. Darin finden sich einige interessante Kernaussagen:

  1. Bei Führung geht es nicht um das Steuern von Leuten; es geht darum, für Leute zu sorgen und eine nützliche Ressource für die Leute zu sein.
  2. Führung bedeutet nicht, der Boss zu sein; es geht darum, für Leute präsent zu sein und eine Gemeinschaft am Arbeitsplatz aufzubauen.
  3. Bei Führung geht es nicht um die Verteidigung von Territorium; es geht darum, Ihr Ego loszulassen, Ihren Geist mit zur Arbeit zu bringen und Ihr bestes und möglichst authentisches Selbst zu sein.
  4. Führung befasst sich nicht so sehr damit, Anfeuerungsreden zu halten, sondern damit, wie man einen Platz schafft, an dem Leute gute Arbeit machen können, darin einen Sinn finden und ihren Geist zur Arbeit mitbringen.
  5. Führung ist, wie das Leben, größtenteils eine Frage der Aufmerksamkeit.
  6. Führung erfordert Liebe.

Motivation und Produktivität

Wenn ich die obigen Kernaussagen von Autry lese, denke ich „Wow, so möchte ich als Teammitglied geführt werden!“ Ein Manager ist in der Lage, eine Umgebung für Motivation und gute Arbeit zu schaffen, wenn er diese Sätze tief verinnerlicht und danach handelt. Nebenbei: Dann wird ihm sein Job auch richtig Spaß machen, weil er mit dem, was sein Team braucht, in Resonanz kommt.

Produktivität stellt sich dann durch Selbstorganisation des Teams ein, bei der der Manager lediglich Unterstützung leistet. Soziale Systeme entwickeln Verhalten, sie organisieren sich selbt aufgrund von Regeln, Feedback und Diskurs. Es beginnt mit einfachen Regeln, z.B. „Wir wollen nur Code einchecken, der den Build übersteht und fehlerfrei durch alle Unit-Tests geht.“ Wenn jemand eine solche, gemeinsam anerkannte Regel verletzt, indem er schlechten Code eincheckt, bekommt er von den Teamkollegen (und vom CI-Server) Feedback. Er wird sich vermutlich wundern, mit seinen Kollegen ins Gespräch kommen. Zuletzt wird er die Ursache herausfinden und beheben, indem er vor dem Einchecken zunächst seine Arbeitsumgebung aktualisiert, alle Unit-Tests laufenlässt und Fehler lokal behebt, bevor er nochmals eincheckt. Das ist eine Verhaltensveränderung, Selbstorganisation durch Feedback und Diskurs. Die Produktivität des Teams wird ansteigen, weil wieder einer weniger „im Weg steht“.

Der Manager als Mentor

Als Manager oder Coach kann ich diesen Prozess der Selbstorganisation fördern, indem ich genug Quellen für Feedback schaffe, Menschen ermutige, Feedback zu geben und in den Diskurs zu gehen. Ich kann das Team fragen, welche anerkannten Regeln für das gemeinsame Handeln gelten müssen und die Verabschiedung dieser Regeln fördern. Ich kann Regeln auch hinterfragen (lassen), wenn mehrfach gegen sie verstoßen wird oder wenn das Team so reif wird, dass sie weniger Regeln brauchen.

Das alles ist, wie das Leben, größtenteils eine Frage der Aufmerksamkeit. 🙂