Es mailte mich neulich ein Jemand an. Dieses Jemand machte mich darauf aufmerksam, dass ich auf meiner Website nur männliche Rollenbezeichnungen benutze, also zum Beispiel Projektleiter, Architekt, Scrum Master, Entwickler, Tester, usw. Mein erster Kontakt mit dem Thema „Gender-gerechte Sprache“.

Gender-gerecht, aha…

Ich wusste gar nicht, dass das ein Problem sein kann. Leute in unserer Branche, der Softwareentwicklung, sind es gewohnt, beliebig mehrfach belegte oder unklare Begriffe zu verarbeiten (z.B. die Wörter „Client“, „Objekt“ oder „Datum“, die alles mögliche bedeuten können).

Daher habe ich gedacht, die Frauensleute unter uns würden die Männerwörter einfach beim Rezipieren übersetzen. Wäre ja ein relativ einfaches, eindeutiges Mapping:

  • Projektleiter –> Projektleiterin
  • Architekt –> Architektin
  • Scrum Master –> Scrum Mistress
  • usw.

OK, das letzte Beispiel ist etwas schwieriger als die anderen, doch im Prinzip ist das doch einfach, oder?

Was ich nicht wusste

Doch es geht gar nicht um „schwierig“ oder „einfach“.

Was ich nicht wusste, ist, dass es Jemande gibt, die sich nicht sicher sind, ob sie weiblich oder männlich genannt werden möchten. Und ich wusste noch nicht, dass es welche gibt, die sich ganz sicher sind, weder weiblich noch männlich genannt werden zu wollen.

Lann Hornscheidt von der Berliner Humboldt-Universität hat vorgeschlagen, Endungen auf X im Deutschen einzuführen und mit ihnen gender-neutrale Substantive zu schaffen. Statt Professorin oder Professor oder Student und Studentin würde man dann von Professx oder Studierx sprechen. Das Fragewort, mit dem man nach diesen Menschen fragte, wäre dann nicht „Wer?“ sondern „Wex?“.

Wenn Sie interessiert, wie das in der Praxis funktionieren könnte, lesen Sie am besten die ausführliche Anleitung in den Anregungen zum antidiskriminierenden Sprachhandeln.

Dort gibt es auch Formen ohne X, aber mit A. Die lassen sich wesentlich besser aussprechen, gelten aber nur für Dinge, nicht für Personen, zum Beispiel „Kopiera“, Plural „Kopieras“ für diese bestimmten Maschinen, die Kopien herstellen.

Vorsicht, Prototyp-Phase!

Direkt und sofort einsatzfähig sind die neuen Wörter anscheinend aber noch nicht. Sie scheinen mehr Prototyp- als Produktiv-Charakter zu haben, mehr „beta“ als „final freigegeben“. Denn, wenn man sie zu entschlossen einsetzt, findet Professx Hornscheidt, dass dadurch die strukturellen Ausschlüsse und sozialen Ungleichheiten „ent_erwähnt“ werden (ich finde ja, es muss „ent_wähnt“ heißen). Also offenbar nicht zu viel „Guten Tag, Vizepräsidx“, sondern doch öfter mal „Guten Tag, Frau Vizepräsidentin“?

Die Form mit dem Unterstrich finde ich übrigens völlig selbstverständlich. Wahrscheinlich hat Lann Hornscheidt das bei uns C-Programmierx abgeschaut.

Konsequenzen?

Hmmm… bedeutet das etwa, dass ich jetzt in meinem Hirnkastl zusätzliche Kapazität vorsehen muss für einen Hintergrundprozess, der ständig beurteilt, ob der Unterschied nun besser be_nannt oder ent_nannt werden sollte? Das würde meine Leistungsfähigkeit und Geschwindigkeit im Gespräch herabsetzen, da bin ich sicher. Auch würde ich bestimmt nur noch halb so viele Blogbeiträge schreiben können, wenn ich ständig überlegte und formulierte:

D’Architektx muss sich häufig mit xs Entwicklxs zusammensetzen und auch selbst noch Programmas schreiben, um den Bezug zua Realita nicht zu verlieren.

(„xs“ ist übrigens ein Possessivpronomen, falls sich jemand unter meinen geschätzten Lesexs gewundert haben sollte. Den Artikel "D‘" habe ich selbst er_funden, denn für gender-neutrale Artikel habe ich noch keine Anleitung ge_funden.)

Nimm’s leicht

Deshalb: Für mein Blog nehme ich einfach weiter die Sprache, die ich habe. Und ansonsten schau ich mir Achim Winter und Roland Tichy an, wenn sie uns das mit der neuen Sprache einmal so richtig ausführlich erklären. Viel Spaß beim Video-Gucken: