Wo ist die Kuh?

Microsoft ist eine Produktentwicklungsorganisation. Sie verdient ihr Geld mit Software. Das ist ein Business, das in dieser Größenordnung ständige, kontinuierliche Innovation erfordert, oder man wird vom Wettbewerb (in diesem Beispiel von Apple) überholt. Bei Microsoft ist von dieser Innovation immer wieder einmal etwas zu spüren, das dann aber wieder im Sande verläuft. Microsoft sendet für mein Empfinden immer wieder Signale der Innovation aus, um im nächsten Schritt sofort wieder altbacken und un-cool auszusehen.

Wie kann das sein?

Törichtes Management

Ein Artikel in Forbes und einer in Vanity Fair machten mich auf eine mögliche Ursache aufmerksam. (Nicht, dass ich normalerweise ein Leser von Vanity Fair wäre, doch diesen Artikel fand ich interessant).

Kurt Eichenwald (contributing editor bei Vanity Fair) schreibt dort, er habe Dutzende von Interviews mit Microsoft-Angestellten durchgeführt und interne Firmenunterlagen, z.B. Emails zwischen hochrangigen Executives, gelesen. Er kommt zu dem Schluss, dass es „erstaunlich törichte Management-Entscheidungen“ gegeben hat, die als eine „Fallstudie für Wirtschaftsschulen“ dienen könnten. Was verbirgt sich dahinter?

Zerstörerische Prozesse

Eichenwald berichtet, es gebe bei Microsoft ein System der Mitarbeiterbewertung, das so genannte stack ranking. Dadurch werde jede Geschäftseinheit gezwungen, ihre Leute mit Hife von Reviews zu klassifizieren, und zwar in einen bestimmten Prozentsatz(!) der Stufen Top-Performer, guter Performer, Durchschnitt und Schwach. Er zitiert einen ehemaligen Softwareentwickler bei Microsoft:

Wenn du in einem Team von 10 Leuten gearbeitet hast, wusstest Du vom ersten Tag an, an dem du durch die Tür kamst, dass egal wie gut jeder war, 2 Leute großartige Reviews bekommen würden, 7 Leute ein mittelmäßiges Review und einer ein schreckliches Review. Das bringt Angestellte dazu, miteinander in Wettbewerb zu treten anstatt in Wettbewerb mit anderen Firmen.

Eichenwald bezeichnet in seinem Artikel dieses stack ranking als ein Programm, das Microsofts Fähigkeit zur Innovation effektiv verkrüppelt:

Jeder heutige und frühere Microsoft-Angestellte, mit dem ich gesprochen habe – jeder einzelne – bezeichnete das stack ranking als den zerstörerischsten Prozess innerhalb von Microsoft, etwas das unzählige Angestellte hinausgetrieben hat.

Bekannte Ursache

Interessanterweise war dieser zerstörerische Effekt von Mitarbeiterbewertungen bereits bekannt, als Microsoft gerade einmal MS-DOS herausgebracht hatte. W. Edwards Deming, der große amerikanische Qualitäts-Guru, schrieb in seinem Buch Out of the Crisis, im Kapitel „Krankheiten und Hindernisse“:

Viele Firmen in Amerika haben Systeme, in denen jeder im Management oder in der Forschung jährlich eine Bewertung bekommt. … Management by Objectives führt zum selben Übel. Management nach Zahlen ebenfalls. … Der Effekt ist verheerend: Es nährt kurzfristige Performance, vernichtet langfristige Planung, baut Angst auf, zerstört Teamarbeit, nährt Rivalentum und Politik. …

Die Idee, Verdienste zu bewerten, ist verführerisch. … Der Effekt ist das Gegenteil von dem, was die Worte versprechen. Jeder bringt sich selbst nach vorn, oder versucht es, nur für sein eigenes Wohl, zur Rettung seines eigenen Lebens. Die Organisation ist der Verlierer.

Bewertung von Verdiensten belohnt Leute, die im System gut funktionieren. Sie belohnt keine Versuche, das System zu verbessern. Schaukle niemals das Boot.

Deming argumentiert weiter und stellt überzeugend dar, dass die Performance eines Systems nur zu einem kleinen Prozentsatz vom einzelnen Mitarbeiter, sondern viel mehr von der Aktionsfähigkeit der Gesamtorganisation abhängt. Es ist also die Aufgabe von Managern, dem Gesamtsystem zu helfen anstatt mit der Lupe auf den einzelnen Mitarbeiter zu schauen.

Das Buch kam in seiner ersten Auflage schon 1982 auf den Markt. Microsoft hätte es kennen können.

Microsoft war lange Zeit innovativ. Es wäre interessant, festzustellen, wann Microsoft das stack ranking System eingeführt hat und ob dieser Zeitpunkt mit dem Zeitpunkt korreliert, an dem Microsoft aufgehört hat, innovativ zu sein. Leider sagt Eichenwalds Artikel nichts darüber aus.

Was meinen Sie dazu? Kennen Sie eine Firma, in der sich Mitarbeiterbewertung sinnvoll ausgewirkt hat? Wie sind Ihre Erfahrungen damit?